Führung in Zeiten von Krise und Aufbruchsstimmung
Ein Sturm fegt über das Land. Er ist unsichtbar, langsam und kommt ohne Getöse. Trotzdem ist nichts, wie es war. Bürokomplexe stehen leer. Der Onlinehandel boomt. Wo einst Ruhe war, ist heute Bewegung. Wo einst buntes Treiben war, herrscht heute gespenstische Stille. Alles steht Kopf. So hat die Pandemie dem betriebswirtschaftlichen Denken und Handeln den Boden entzogen. Nichts ist mehr planbar.
Das „Fahren auf Sicht“ in der der Krise und die stete Alarmbereitschaft bringt verschiedene Persönlichkeiten zum Vorschein. So stehen mittlerweile auf der einen Seite erschöpfte Führungskräfte auf der Suche nach dem richtigen Kurs. Auf der anderen Seite stehen Führungskräfte mit ungeahnten kreativen Energien.
Manager oder Leader?
Was macht solche krisenfesten Führungskräfte aus? Warum gleichen manche dem sprichwörtlichen Felsen in der Brandung und schaffen es Ihre Mitarbeiter und Unternehmen weiter auf Kurs zu halten. Die Pandemie zeigt die Unterscheide noch eindrücklicher als Digitalisierung und anderen Themen es bisher konnten. Denn dort wo die Dinge eingespielt nach Plan verlaufen, wo das Ergebnis „irgendwie passt“ und alle mehr oder weniger zufrieden sind braucht es keine Führung. Das operative Tagesgeschäft braucht eher Verwalter. Proaktive Führung hingegen ist für ein System überlebensnotwendig, wenn: …
- … externen Veränderungsprozessen Stand gehalten werden muss.
- … interne Veränderungsprozesse eingeleitet und begleitet werden sollen.
- … die innere Stabilität gefährdet ist (z. B. starke interne Konflikte).
- … der Schutz des Systems nach außen und innen gewährleistet werden muss.
- … die Legitimation der Führung gefährdet ist.
Corona als Veränderungsbeschleuniger
All diese Parameter wurden durch die Pandemie in unterschiedlichem Maße aktiviert. Schon lange vor Covid-19 fasste die Arbeits- und Organisationspsychologie in den Begriffen Volatility (Flüchtigkeit), Uncertainty (Ungewissheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit) die charakteristischen Parameter unserer Zeit zusammen. Die Pandemie hat die Gültigkeit dieser Parameter in ungeahnter Weise verstärkt. Wer sich heute in einer Führungsrolle befindet, spürt einen direkten oder indirekten Handlungsdruck. Führung scheint zwar wichtiger denn je, doch in diesen irritierten Zeiten „streiten sich die Geister“ nicht nur politisch über die stimmige Methode.
Stimmige Führung ist nicht pauschal definierbar. Sie ergibt sich aus einem steten Balanceakt zwischen der Führungskraft mit ihren Eigenschaften, Kompetenzen und Ressourcen, sowie dem bedeutsamen System mit seinen strukturellen, emotionalen Merkmalen, Bedürfnissen und Erwartungen. Also: Was kann ich leisten und was braucht mein System?
Bisherige Strukturen bröckeln
Allein letzter Aspekt ist durch Corona in einen undurchdringbaren Nebel der Unklarheit geraten. Mitarbeiter, die uns einst stark schienen, erleben wir überraschend instabil und umgekehrt. Die Pandemie hat viele leise und laute, offene und verdeckte Krisen ausgelöst. Die Sorge um die eigene Gesundheit oder die eines lieben Angehörigen, wirtschaftliche Befürchtungen und Zukunftsängste schubsen uns in unterschiedlichem Maße, zu unterschiedlichen Zeitpunkten aus unserer Mitte. Führung steht dem gegenüber und hat damit umzugehen.
Für Ziele sorgen, organisieren, entscheiden, kontrollieren & Menschen entwickeln und fördern – die Führungsaufgaben nach Malik erschienen manch Einem bereits fast etwas verstaubt. Während wir uns in unserm Führungsanspruch für die Mitarbeiter unlängst auf der obersten Maslowschen Bedürfnisstufe der „Selbstverwirklichung“ bewegten, hat uns Pandemie schlagartig auf die zweite Stufe des „Sicherheitsbedürfnisses“ zurückgeworfen. Wo Sicherheit gesucht ist, heißt es für Führung: Halt geben, Rahmen stecken und eindeutig kommunizieren – und der „alte Malik“ erstrahlt in neuem Glanz. Gesucht ist ein Führungsverhalten, das uns in den letzten Jahrzehnten auf der Suche nach dem mitarbeiterorientierten Führungsstil vielleicht etwas abhandengekommen ist.
Leader stehen vor und hinter Ihrem Team
Doch wie kann es gelingen, stärkend aufzutreten und Sicherheit zu suggerieren, wenn ich als Führungskraft vor dem Hintergrund der Ereignisse selbst zutiefst verunsichert bin?
Die Antwort ist sehr einfach und gleichzeitig eine große Herausforderung: Nur Teams sind klüger und kreativer als Einzelne („Weisheit der Vielen“) und nur Teams sind mutiger als Einzelne (Risk Shift Phänomen). Dieser Ressource gilt es sich für Führungskräfte in der Zukunft verstärkt zu bedienen, je mehr wir uns in die VUCA-Welt hineinbewegen.
Auch unabhängig von Corona ist dieser Trend nicht aufzuhalten. Nur reife, vertrauensvoll zusammenarbeitende Teams verfügen über den vielseitigen Werkzeugkoffer einer synergetischen Führung, um auf die komplexen Bedingungen von morgen stimmig zu reagieren. Das lernen wir gerade von den Führungssystemen, denen die Pandemie bisher scheinbar nichts anhaben konnte.